Die individuelle Eschatologie des Lukasevangeliums
Perikopen: Koh 1,2; 2,21-23 Lk 12,13-21
Liebe Brüder und Schwestern im gemeinsamen Glauben!
Das heutige Evangelium, das uns nur der heilige Evangelist Lukas überliefert hat, und das nicht so häufig gelesen wird, hat in der Bibelwissenschaft einen interessanten Namen bekommen: individuelle Eschatologie des Lukas-evangeliums. Das heißt nichts anderes, dass jeder Mensch ganz persönlich an das Ende seines Lebens denken soll.
Drei Gedanken dazu.
Erstens: Wir sollen das Ende unseres Lebens nicht verdrängen. Auch, wenn wir uns alle ein langes und erfülltes Leben wünschen, jeder Tag kann der letzte sein. Ein paar Beispiele dazu. Ein Mann steht zufrieden auf der Bühne des Lebens. Rundum abgesichert gegen Schäden aller Art: Einbruch, Diebstahl, Feuer, Wasser, Hagel, Sturm und Blitz… Zufrieden sortiert er seine Policen: Autoversicherung, Haftpflichtversicherung, Hausratversicherung, Krankenversicherung, Lebens-versicherung, Unfallversicherung… „Jetzt kann ich sorglos leben!“ denkt er zufrieden. Und er stirbt. Ein anderer hat einen großen Terminkalender und sagt zu sich: „Alle Termine sind eingetragen, aber noch sind die Tagung X und die Konferenz Y sowie die Sitzung der Unterausschüsse und die Treffen des Teams nicht eingeplant. Wo soll ich sie alle unterbringen?“ Und er kauft einen größeren Terminkalender mit Einteilungsmöglichkeiten der Nachtstunden, macht aus Abendessen Arbeitsessen, aus Wochenenden Klausurtage, disponiert noch einmal um, trägt alles sorgfältig ein und sagt zu sich selbst: „Nun sei ruhig! Du hast alles gut eingeplant. Versäume nur nichts!“ Und je weniger er versäumte, umso mehr wuchs sein Informationsvorsprung. Er konnte überall klug mitreden. Er stieg im Ansehen und wurde in den Ausschuss Q und in den Vorstand K gewählt, zweiter und erster Vorsitzenden, Ehrenmitglied…Und eines Tages war es soweit. Und Gott sagte: „Du Narr, diese Nacht stehst du auf meinem Terminkalender.“ Oder beim deutschen Schriftsteller und Kabarettisten Joachim Ringelnatz findet sich ein kleines, freches Gedicht: „Du weißt nicht mehr wie Blumen duften, kennst nur die Arbeit und das Schuften. So gehen sie hin die schönen Jahre, am Ende liegst du auf der Bahre und hinter Dir, da grinst der Tod: Kaputtgeschuftet, Vollidiot!“ Wir sollten an das Ende denken.
Zweitens: Vor der Gier hüten. Wir können uns nichts mitnehmen, aber rein gar nichts. Nur das, was wir Gutes getan haben, wo Glaube Hoffnung und Liebe mit dabei waren, das nehmen wir mit in die Ewigkeit. Die Gier macht alles kaputt. In einem Zeitungsartikel über den verstorbenen Fußballspieler Uwe Seeler war ein Ausspruch von ihm zitiert. Der trifft den Nagel auf den Kopf: „Es ist dieses Ich, Ich – Mehr, Mehr, es ist diese verdammte Gier, die alles kaputt macht“ Mag sein, dass Uwe Seeler die Entwicklung im Profifußball im Blick hatte, die horrenden Summen bei Spielertransfers. Sein Ausspruch von der verdammten Gier, die alles kaputt macht, beschreibt jedoch die Wirklichkeit in unserer Gesellschaft und Welt leider nur allzu treffend. Die territoriale Gier der skrupellosen Machthaber führt in furchtbare Kriege und bringt so viel Leid ins Leben unzähliger Menschen. Wozu Raffgier und egoistisches Handeln führen können, das zeigt sich leider auch an anderen Stellen immer wieder. Wenn die Reichen auf Kosten der Armen leben und die Wirtschaft nach Regeln funktioniert, die unsere Welt in Gewinner und Verlierer aufteilt. s eine Mentalität des Immer-mehr-haben-Wollens alles kaputtmachen kann, zeigt auch die zunehmende Zerstörung unserer Welt, die Gottes gute Schöpfung ist. Auch hier schafft es der Mensch, durch Habgier und Kreisen um sich selbst, seine eigene Lebensgrundlage und die von Pflanzen und Tieren zu zerstören. „Halt! Stopp!“ mögen manche jetzt innerlich rufen. „Genug an Problemanzeigen!“ Wie verständlich! Schließlich haben wir Sommer, Ferienzeit, Urlaubszeit. Mal abschalten, sich erholen, einfach mal die Seele baumeln lassen. Es sei allen von Herzen gegönnt. Allerdings das heutige Evangelium stellt sich diesem inneren Bedürfnis ein wenig quer. Denn es kommt mit einer Ermahnung daher: „Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier!“ Nun, an und für sich handelt ja dieser reiche Bauer ganz vernünftig und vorausschauend, wenn er seine übergroßen Erträge zu sichern sucht. Ein kluger Mann baut vor. Aber ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist? Wenn der reiche Mann spricht, führt er ausschließlich einen Monolog. Alle seine Gedanken kreisen um ihn selbst und um seinen Besitz. Immer nur: Ich, ich, ich… In seinem ichbezogenen Denken scheint es keinen Platz für andere Menschen und auch nicht für Gott zu geben. Den Sinn seines Lebens sieht er allein darin, sich materielle Sicherheiten zu verschaffen, die er später genießen will. Doch in das Selbstgespräch des erfolgreichen Großgrundbesitzers dringt Gottes hartes Wort: „Du Narr! Heute, noch in dieser Nacht...“ Dumm und töricht ist er, weil sein ganzer Wohlstand den plötzlichen Tod nicht verhindern kann und all sein profitorientiertes egoistisches Streben ins Leere läuft. „Heute noch“, das kann ein Schlaganfall sein, ein Herzinfarkt, ein Autounfall und vieles mehr. Wir wissen es alle nicht.
Drittens: Wieder bewusster leben lernen. In den Psalmen heißt es einmal: „Unsere Tage zu zählen lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz.“ Genau das ist es. Der heilige Ignatius hat bei den 30-tägigen Exerzitien eine Übung. Darin empfiehlt er, das Leben einmal von seinem Ende her in den Blick zu nehmen. Und so, von hinten her betrachtet, Bilanz zu ziehen, zu sortieren, zu gewichten und Leben neu zu ordnen. Wie möchte ich rückblickend in meiner letzten Stunde gelebt haben? Für wen möchte ich dagewesen sein und mich eingesetzt haben? Da fragt man seine Arbeit, für wen sie nütze ist? Und da fragt man die Freizeit, ob sie auch Freiheit geschenkt hat? Da fragt man nach der Liebe und nach der Treue. Man fragt ob man seinen Kindern in die Augen sehen kann? Welche Gewissheiten bleiben am Ende. Für die diese Übung braucht es keine großen Exerzitien. Es genügt, dass wir uns ein bisschen Zeit nehmen und uns sagen: Dieser Tag, was, wenn das der letzte wäre? Wenn heute Schluss wäre, hätte mein Leben dann die Form, die es in meinen Augen haben sollte? Ist die Richtung spürbar, die ich meinem Leben gerne geben würde? Sind die Akzente, die mir wichtig sind, erkennbar? Mag ich es, könnte ich es so lassen, wie es jetzt gerade ist? Dann fragen wir uns, was dringend zu ändern wäre an den Dingen um mich herum; an dem, was ich tue, und an mir selbst.
Liebe Brüder und Schwestern!
Individuelle Eschatologie des Lukasevangeliums. Das persönliche Ende. Verdrängen wir es nicht. Hüten wir uns von der Gier, die alles in dieses Leben hineinstopft. Leben wir bewusster, nicht nur gesundheitsbewusster, sondern ewigkeitsbewusst. Amen.